Deutsche Post AG Briefzustellung in Berlin, 2006UPS AirlinesPostbank Centerfiliale Berlin-Charlottenburg, Goethestr. 2-3, 2006PIN Briefzustellung in Leipzig, 2005DHL Paketzustellung, Post in neuem DHL-Design, 1.4.2003Deutsche Telekom, Gebäudekennung, Digi Park Flughafen Köln/Bonn, 2006Vodafone Gebäude Am Seestern Düsseldorf, 2004

Post und Telekommunikation

Der Gastbeitrag

Der folgende Beitrag ist in „Blätter für deutsche und internationale Politik” Nr. 1/2014 veröffentlicht. Der Autor und die Redaktion der „Blätter” haben freundlicherweise zugestimmt, den Beitrag in diese Dokumentation aufzunehmen.

Tim Engartner

Zum Autor:
Prof. Dr. Tim Engartner (Jg. 1976) ist seit April 2012 Professor für Didaktik der Sozialwissenschaften am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie Mitglied des Direktoriums der Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung (ABL). Er studierte Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sowie Englisch für das Lehramt der Sekundarstufen I/II in Bonn, Oxford und Köln, bevor er sein 2. Staatsexamen ablegte (2005) und an der Universität zu Köln promoviert wurde (2008). Anschließend war er am dortigen Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften tätig. 2009 wechselte er an die Universität Duisburg-Essen, wo er zuletzt eine Juniorprofessur für Ökonomische Bildung innehatte, bevor er auf die Professur für Ökonomie und ihre Didaktik an der PH Schwäbisch Gmünd berufen wurde.

Foto: © Tim Engartner

Der große Postraub
Die Privatisierung der Bundespost und ihre Folgen

von Tim Engartner

Anstatt sich durch überfüllte Kaufhäuser zu drängen, haben auch in diesem Jahr Millionen Bundesbürger ihre Weihnachtsgeschenke bequem bei Amazon & Co bestellt. Doch der Komfort hat seine Schattenseiten. Denn um das Versprechen der pünktlichen Lieferung auch in Stoßzeiten einhalten zu können, sorgen Versandhändler wie Amazon für ein ganzes Heer von Paketzustellern auf den Straßen. Gerade in der Vorweihnachtszeit stellen Paketdienstleister vor allem Mini-, Midi- und Multijobber sowie Zeit- und Leiharbeiter ein - befristet. Nimmt die Zahl der Auslieferungen nach den Feiertagen wieder ab, endet meist auch deren Arbeitsverhältnis.

Der Paketdienst General Logistics System (GLS) arbeitet sogar ausschließlich mit Subunternehmern. Sie erhalten in der Regel zwischen 1,20 und 1,40 Euro pro Paket.1 Am Ende kommen sie mitunter auf Stundenlöhne von weniger als 4 Euro, weil GLS beispielsweise die „vorbereitende Arbeit” früh am Morgen nicht bezahlt, in denen die Fahrer die Pakete aus den Depots holen, scannen und in die Wagen verladen.2 GLS ist jedoch nicht das einzige der „Big Five”-Unternehmen auf dem Frachtpostmarkt, das die Löhne seiner Beschäftigten drückt. Auch die Konkurrenten DHL, UPS, DPD und Hermes delegieren ihre unternehmerische Verantwortung an Subunternehmer, deren Fahrer als Selbstständige Pakete zustellen.3

All das war nicht immer so - und es hängt eng zusammen mit der vor gut 25 Jahren eingeleiteten Privatisierung des deutschen Postwesens.

Die Deregulierung des Postsektors

Bis zu Beginn der 1990er-Jahre befand sich das bundesdeutsche Post- und Fernmeldewesen vollständig in staatlicher Hand. Christian Schwarz-Schilling, von 1982 bis 1992 unter Helmut Kohl Bundesminister für Post und Telekommunikation, verfolgte mit der Privatisierung der Bundespost das Ziel, „die Fesseln des öffentlichen Dienstrechts [zu] sprengen”.4 Diese Losung setzte er mit Nachdruck um: Zum 1. Juli 1989 gliederte die schwarz-gelbe Regierung mit dem Poststrukturgesetz („Postreform I”) die Organisationseinheiten der Post neu; 1994 folgte die „Postreform II”, aus der die Deutsche Post AG, die Deutsche Telekom AG und die Postbank AG hervorgingen.

Kurze Zeit später folgte der Gang an die Börse. Es war damals Thomas Gottschalk und seinem Bruder Christoph vorbehalten, der „Aktie Gelb” zuvor das Image der „Volksaktie” zu verleihen. Am 20. November 2000, dem ersten Handelstag, wurden 29 Prozent des Unternehmens - und damit 320 Millionen Aktien im Wert von 6,6 Milliarden Euro - an die Börse gebracht. Nunmehr hält der Staat nur noch bescheidene 21 Prozent der Aktien, während sich die übrigen Anteilsscheine in privatem Streubesitz befinden.5

Schon im Sommer 1998 verkündete der damalige Post-Chef Klaus Zumwinkel: „Die Sanierung der Deutschen Post ist geschafft.” Und nur ein Jahr später konnte er eine eindrucksvolle Bilanz vorweisen: Der Umsatz war mit 22,4 Milliarden Euro doppelt so hoch wie 1990, der Gewinn nach Steuern belief sich auf 1,1 Milliarden Euro und die Eigenkapitalrendite (vor Steuern) lag bei stattlichen 36 Prozent. Der Trend schreibt sich bis heute fort: 2012 konnte der Konzern gegenüber dem Vorjahr einen Gewinnzuwachs von 42,6 Prozent auf 1,66 Milliarden Euro verbuchen.

Die Konzernspitze ließ sich die positive wirtschaftliche Bilanz der vergangenen Jahre geradezu vergolden: Der 6-köpfige Vorstand der Deutschen Post AG konnte sich 2012 über Bezüge von 1,5 bis 3,5 Millionen Euro freuen. Doch während Gewinne und Vorstandsbezüge stiegen, brachte die Privatisierung nicht nur den Beschäftigten, sondern auch den Steuerzahlern und Kunden vor allem eines: spürbare Verschlechterungen.

„Verschlankung” zulasten der Arbeitnehmer

Allein zwischen 1989 und 2006 strich die Deutsche Bundespost respektive die Deutsche Post AG rund 173.000 Stellen.6 Ende 2012 waren nur noch 167.000 Mitarbeiter im Inland für das Unternehmen tätig. Die Konkurrenz hat im gleichen Zeitraum nur etwa 46.000 neue Stellen geschaffen. Mehr Wettbewerb hat demnach „nicht zu mehr Beschäftigung geführt, sondern zu Beschäftigungsabbau”, konstatiert der am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung tätige Liberalisierungsexperte Thorsten Brandt.7

Gleichzeitig wurden die Anstellungsverhältnisse zunehmend prekär. Zahlreiche Vollzeitverträge in den Bereichen Trennung, Vorbereitung und Zustellung ersetzte die Post in den vergangenen Jahren durch Teilzeitverträge. Nicht selten lösten dabei Minijobs sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse ab.

Mit der Einstellung von Leiharbeits- und Saisonkräften und der Auslagerung von Teilbereichen ihres Geschäfts in andere Unternehmen verfolgt die Post nur ein Ziel: Personalkosten zu sparen, um den Börsenkurs zu „pflegen”.

Exemplarisch dafür steht das Briefzentrum im Duisburger Stadtteil Asterlagen. Rund 1,5 Millionen Briefe jagen hier tagtäglich durch modernste Zustellmaschinen. Im vergangenen Jahr geriet das Zentrum in die Schlagzeilen: Nachdem die Zeitverträge ausgelaufen waren, ließ der Logistikkonzern die Beschäftigten Abrufverträge unterschreiben, sodass sie bedarfsabhängig eingesetzt werden können - und zwar ohne Mindestarbeitszeit, ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, ohne Urlaubsgeld und ohne Bonuszahlungen.8 Die Mitarbeiter sprachen in diesem Zusammenhang von „Schweineverträgen” und „moderner Sklaverei”.9

Weniger Service und mehr „Do-it-Yourself”: Die neuen Postagenturen

Der Abbau von Arbeitsplätzen ging mit der massiven Ausdünnung der flächendeckenden Postversorgung und des Filialnetzes der Deutschen Post AG einher.

Da inzwischen mehr als 4 Fünftel des Umsatzes im Briefgeschäft auf Großkunden entfallen, vernachlässigt der einstige Staatsmonopolist zunehmend das Privatkundengeschäft. Existierten 1983 auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik noch rund 29.000 Postfilialen und -ämter, finden sich nun im gesamten Bundesgebiet nur noch rund 13.000 private Postagenturen; für den Publikumsverkehr zugängliche posteigene Filialen hingegen gibt es keine einzige mehr.10

Die „Postfilialen im Einzelhandel” finden sich in Supermärkten, Kiosken, Bäckereien und Lotto-Toto-Annahmestellen, aber auch in Tankstellen und Schreibwarenläden. Während die „klassischen” Postfilialen im Eigentum der Deutschen Post AG standen, werden die privaten Postagenturen von sogenannten Postagenten geleitet. Als selbstständige Unternehmer erhalten sie von der Deutschen Post AG eine Basisvergütung sowie verschiedene Provisionen. Dabei zwingt die Deutsche Post AG ihren „Partnern” immer schlechtere Konditionen auf. Mitunter verlangt sie vor Vertragsschluss sogar Einblick in die finanziellen Verhältnisse der Postagenturnehmer sowie ihrer Lebenspartner. Viele Postagenturen müssen zudem nach kurzer Zeit wieder schließen, weil die Bezahlung durch die Deutsche Post AG in keinem Verhältnis zum Aufwand steht. Mangels einschlägiger Fachkenntnisse der neuen Postagenten ist zudem die Servicequalität stark gesunken. Selbiges gilt für die seit 2006 eingerichteten Verkaufspunkte. Sie befinden sich vor allem in Ortschaften mit weniger als 2.000 Einwohnern bzw. in Stadtrandbezirken. Diese konzentrieren sich lediglich auf ein postalisches Basisangebot; auf komplexere Dienstleistungen wie Einschreiben, Paketannahmen oder Nachnahmesendungen müssen die Kunden in diesen Randgebieten verzichten.

Gleichzeitig zeichnet sich bereits für alle Privatkunden seit einigen Jahren ein Trend in Richtung „Do-it-yourself” ab. Bundesweit gibt es mehr als 2.500 voll automatisierte Packstationen, an denen registrierte Kunden rund um die Uhr Post abholen und aufgeben können. In Bonn und Berlin betreibt die DP AG obendrein sogenannte Postinseln. Dort können Kunden zu jeder Tageszeit Postdienstleitungen in Anspruch nehmen - gleichwohl ohne die Beratung eines Postangestellten. Die Post geht offenbar zudem davon aus, dass ihre gesamte Kundschaft mit moderner Technik vertraut, in guter körperlicher Verfassung und ausreichend mobil ist. Seinem ursprünglichen Auftrag, eine flächendeckende Versorgung mit Postdienstleistungen zu gewährleisten, kommt das Unternehmen hingegen immer seltener nach.

Somit steht der Privatkunde heute tendenziell schlechter da als vor der Privatisierung, muss er doch immer mehr Leistungen selbst erbringen. Zusätzlich soll er für diese Eigenleistungen auch noch mehr zahlen als für die einst vom Unternehmen erbrachten Dienstleistungen: So kündigte die Deutsche Post an, das Briefporto zum 1. Januar 2014 auf 60 Cent zu erhöhen - ohne dass der Kunde dafür mehr Leistungen erwarten darf.

DHL: Der gelbe Riese

Zwar ist die Deutsche Post AG trotz der Privatisierung im hiesigen Briefgeschäft nach wie vor uneingeschränkter Marktführer. Doch das Inlandsgeschäft verliert umso mehr an Bedeutung, desto stärker sich die Post dem internationalen Wettbewerb zuwendet. In mehr als 220 Ländern und Territorien ist der „Gelbe Riese” inzwischen tätig.

Klaus Zumwinkel, der bis zu seinem unfreiwilligen Ausscheiden aus dem Amt im Februar 2008 mehr als 18 Jahre lang die Geschicke der Post leitete, hat es zweifellos geschafft, aus einer in nationalen Grenzen operierenden Behörde einen viel beachteten Global Player zu schmieden: die „Deutsche Post World Net”. Sie erzielt inzwischen mehr als 2 Drittel ihres Jahresumsatzes von zuletzt 55,51 Milliarden Euro im Ausland. Den Startschuss für die weltweite Expansion im Logistikbereich - mit der Bonität der Bundesrepublik Deutschland im Rücken - gab der Zukauf der Schweizer Spedition Danzas im Jahre 1999. Um auf dem hart umkämpften US-Markt Fuß zu fassen, kaufte die Post nur 3 Jahre später das dort ansässige Speditionsunternehmen DHL. Dieses ist nach seinen Gründern Adrian Dalsey („D”), Larry Hillblom („H”) und Robert Lynn („L”) benannt. Heute sind unter dessen Dach sämtliche Logistikdienstleistungen der Deutschen Post AG gebündelt.

In den Folgejahren übernahm sie eine Vielzahl weiterer Unternehmen bzw. Unternehmensanteile in den Bereichen Brief, Express und Logistik: Dazu zählen Koba und Ducros Services Rapides in Frankreich, Williams Lea und Excel in Großbritannien, Unipost in Spanien, Blue Dart Express in Indien, PPL in Tschechien, Flying Cargo International Transportation Ltd. in Israel, ASG AB in Schweden sowie Global Mail Ltd., Smart Mail, Airbone Inc., ASTAR Air Cargo Holdings, Polar Air Cargo Worldwide Inc. und Air Express International AEI - alles Unternehmen in den USA.

Die Deutsche Post AG avancierte auf diese Weise nicht nur zu einem Schwergewicht im Deutschen Aktienindex (DAX), sondern auch zum Weltmarktführer in den Bereichen Luft-, See- und Kontraktlogistik. Der Fokus auf das internationale Frachtpostgeschäft zwischen Dallas, Delhi und Den Haag führte jedoch - wie auch im Fall der Deutschen Bahn AG - noch mehr dazu, dass die Post ihren „Heimatmarkt” zwischen Dresden, Delmenhorst und Düren vernachlässigt.

Telekom: Das teure Ziel des „schlanken Staates”

Die Konzerngewinne, die die Deutsche Post seit der Privatisierung erwirtschaftet hat, verdankt sie allerdings nicht zuletzt auch der Übernahme der Pensionslasten durch die Steuerzahler.

So wird der Bund bis 2076 rund 550 Milliarden Euro Witwen-, Waisen- und sonstige Renten für die ehemaligen Beamten des „Gelben Riesen” zahlen. Der inzwischen weltweit größte Logistikkonzern wird somit trotz milliardenschwerer Gewinne mit derzeit rund 8 Milliarden Euro pro Jahr subventioniert. Folglich findet Tag für Tag eine Privatisierung der Gewinne bei einer gleichzeitigen Sozialisierung der Lasten statt, denn eine konsequente Privatisierung hätte natürlich auch die Übernahme der Pensionsansprüche umfassen müssen.

Während sich gegen die meisten Privatisierungen seit den 1980er-Jahren nur verhaltener Protest regte, verhielt es sich bei der Bundespost - auch aus diesem Grund - jedoch anders: Die „Selbstentmachtung des Staates” führte zu einer breiten öffentlichen Debatte. Im Zentrum standen dabei die Kosten und Risiken, die mit der Preisgabe staatlicher Aufgabenwahrnehmung verbunden sind. Besonders umstritten war auch der letzte Kraftakt des Staatsmonopolisten: Unmittelbar nach der Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten legte der Bund ein Investitionsprogramm in Höhe von 55 Milliarden DM auf. Mit diesen Mitteln errichtete die Bundespost kurz vor dem Börsengang auf dem Gebiet der ehemaligen DDR eines der weltweit leistungsfähigsten Telekommunikationsnetze - das dann kurz darauf unter den Hammer kam.11

Davon profitierte vor allem das zweite Unternehmen, das aus der Bundespost erwuchs: die Deutsche Telekom AG. Sie ging einen ähnlichen Weg wie die Deutsche Post. Von 1994 bis 2007 baute die Telekom im Inland rund 77.000 Arbeitsplätze ab, was der Hälfte aller Stellen entspricht. Auch im Telekommunikationssektor hat die Privatisierung mehr Arbeitsplätze vernichtet als neue hinzukamen: Die Wettbewerber der Telekom haben bis 2007 lediglich 14.000 neue Stellen geschaffen.12

Dabei begrüßten ausgerechnet die Telekom-Beschäftigten die neue Marktfreiheit zunächst ausdrücklich. Sie gehörten ebenfalls mehrheitlich zu den euphorisierten „Neu-Börsianern”, die 1996 wie verrückt die T-Aktie kauften. Ausgehend vom Eröffnungskurs, der am 18. November 1996 bei 14,57 Euro lag, kletterte der Kurs bis zum März 2000 auf 103,50 Euro - seinen historischen Höchststand. Danach allerdings stürzte das Papier ins Bodenlose: Am 4. Juni 2012 befand es sich auf einem „Allzeittief” von gerade einmal 7,76 Euro.13

Arbeitskampf gegen sinkende Standards

Und auch für die Angestellten der Telekom ging es seitdem stetig bergab. Im Oktober 2003 gründete sich aus der Personal-Service-Agentur des Unternehmens der Dienstleister „Vivento”. Vivento sollte - in den Worten des bis Ende 2013 amtierenden Vorstandsvorsitzenden René Obermann - denjenigen, „die wirklich auf Dauer keine Beschäftigungsperspektive hatten, einen Übergang zu anderen Unternehmen oder als Dienstleister für andere Unternehmen” ermöglichen.14 Faktisch ging es jedoch um das Auslagern unternehmenseigener Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie deren Vermittlung an andere Unternehmen und Behörden. Mit anderen Worten: Beschäftigte der Deutschen Telekom AG sollten an andere Wirkungsstätten „verschoben” werden. Die „klassischen” Instrumente wie Abfindungen, Vorruhestandsregelungen und die Nichtbesetzung offener Stellen hatten offenbar nicht mehr ausgereicht, um die vom Vorstand vorgegebene Eigenkapitalrendite zu erreichen. Um die Personalkosten weiter zu senken, gliederte die Telekom im Jahr 2007 weitere 55.000 Beschäftigte in Servicegesellschaften aus.

Die Gewerkschaft ver.di konnte den Trend zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen seit der Privatisierung nicht stoppen. Auf Druck der Investoren musste die Gewerkschaft 2007 Pausenkürzungen und einer 4-stündigen Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich zustimmen, was einer Lohnsenkung von 6,5 Prozent entsprach. Die Interessen der Kapitalgeber, darunter auch die Investmentgesellschaft Blackstone Group L.P., werden auch in Zukunft die Unternehmensentscheidungen maßgeblich beeinflussen. Die Belegschaft der Telekom hingegen wird sich mit aller Kraft gegen weitere Verschlechterungen ihrer Lage stemmen müssen.

Der Ausverkauf der Royal Mail

Die bundesdeutsche Entwicklung droht sich nun sogar zu wiederholen: nämlich in Großbritannien. Auch die Royal Mail - das älteste Postunternehmen der Welt und zugleich die letzte Bastion staatlichen Unternehmertums auf der Insel - ist jüngst ebenfalls geschleift worden.

Erstaunlicherweise war es hier Margaret Thatcher, die Mutter des Neoliberalismus auf dem europäischen Kontinent höchstpersönlich, die die staatseigene Post lange Zeit vor der Privatisierung bewahrt hatte. Vor einem knappen Vierteljahrhundert war die „Eiserne Lady” vor einem solchen Schritt noch zurückgeschreckt. Sie werde „den Kopf der Königin nicht privatisieren”, hatte Margaret Thatcher unter Anspielung auf die Briefmarken mit dem Konterfei der Queen einst versichert.

Im Oktober ging das Unternehmen schließlich doch an die Londoner Börse. Es ist der größte Verkauf von Staatseigentum seit der Privatisierung von British Rail vor 20 Jahren. Bis zuletzt hatte die konservative Regierung unter der Führung von Premier David Cameron im Schulterschluss mit den mehrheitlich regierungstreuen Medien des „Murdoch-Imperiums” Jubelarien auf die neue „Volksaktie” angestimmt. 96 Prozent der rund 170.000 Postbediensteten sollten mit einer Gratiszuteilung von 10 Prozent der Anteilsscheine besänftigt werden.

Die Nachfrage nach dem Papier war entsprechend hoch: Obwohl am ersten Handelstag nur institutionelle Anleger zugelassen waren, schnellte der Kurs der Royal-Mail-Aktie binnen weniger Stunden um 45 Prozent in die Höhe. Die Nachfrage stimulierte vor allem die rasant wachsende Unternehmenstochter GLS, die schon jetzt 1 Viertel zum Konzerngewinn der altehrwürdigen Mutter beiträgt.

Dennoch stößt die Privatisierung inselweit auf große Skepsis. So sprechen sich nicht nur 2 Drittel der Briten gegen die Privatisierung der Royal Mail aus. Die Gewerkschaft Communication Workers Union (CWU) fürchtet Lohnkürzungen und Stellenstreichungen. Zu Recht: Bereits im Vorfeld des Börsengangs waren rund 17.000 Arbeitsplätze abgebaut worden.

Und auch für den Staat rechnet sich der Börsengang nicht. Zwar wird die Ausgabe der ersten Tranche von 62 Prozent der Anteilsscheine rund 2 Milliarden Pfund Sterling in die öffentlichen Kassen spülen. Allerdings zeigt die 20-fache Überzeichnung der Aktie zum einen, dass der Verkaufspreis viel zu niedrig angesetzt wurde. Zum anderen legte die britische Regierung fest, dass die Pensionskasse der Post mit einem Defizit von rund 10 Milliarden Pfund Sterling in staatlicher Hand bleibt - vor allem, um den Anlegern das Investment schmackhaft zu machen.

Betriebswirtschaftlich effizient, volkswirtschaftlich desaströs

Britische Gewerkschafter sprachen daher am Tag der Aktienemission - in Anspielung auf den großen Postzugraub von 1963 im englischen Ledburn - vom „Great Royal Mail Robbery”, dem großen Postraub. Die Erfahrungen hierzulande zeigen, dass sie damit Recht haben.

Die vielfach kritisierten „Pathologien politischer Steuerung” (Fritz Scharpf), die zuvorderst auf das Unvermögen staatlicher Wirtschaftstätigkeit zielen, lassen sich mit Blick auf den Postsektor nicht länger beschwören. So hat die Postprivatisierung nicht zuletzt zu einer massiven Prekarisierung und einem Rückgang der Normalarbeitsverhältnisse geführt. Die Folgen muss der Staat nun abfedern, beispielsweise indem er die Löhne der Postangestellten bezuschusst. Bereits dies zeigt, dass es den Befürwortern der Privatisierung vor allem um Produktionseffizienz und die Minimierung der Kosten geht.

Doch der Preis für die Kostenminimierung ist hoch. Auf der britischen Insel werden Nostalgiker beklagen, dass die gusseisernen roten Briefkästen aus dem Stadtbild verschwinden wie zuvor die roten Telefonzellen. Weitaus dramatischer sind jedoch die mit der Privatisierung verbundenen Folgen für Kunden, Beschäftigte und Steuerzahler. Und auch in Großbritannien wird sich erweisen, dass die häufig gebrauchte Metapher vom „Verkauf des Tafelsilbers” nicht zutrifft. Schon die Anteilsscheine der Deutschen Bundespost lagen nicht unnütz im Schrank, sondern bescherten der öffentlichen Hand laufende Einnahmen. Noch 1987 trug die Bundespost mit einem Jahresüberschuss von rund 3,3 Milliarden DM zur Konsolidierung des Bundeshaushalts bei.

Die Lehre aus der Postprivatisierung liegt somit auf der Hand: Wenn vor allem Konzernspitzen und Aktionäre von Privatisierungen profitieren, dann hat der Markt - mit Blick auf die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger - versagt. Um aber die gleichen politischen Fehler nicht fortwährend zu wiederholen, dürfen die Regierungen gleich welcher Couleur nicht länger als Sachwalterinnen des thatcheristischen und kohlistischen Erbes agieren. Nur dann können sie das Gemeinwohl - statt es auf dem Altar des Marktes zu opfern - vor dem kapitalen Ausverkauf bewahren.

Die Redaktion der „Blätter für deutsche und internationale Politik” hat dankenswerterweise den Beitrag - ein Auszug aus der „Blätter”-Ausgabe 1/2014 - als PDF-Datei zur Verfügung gestellt. Hier steht er zum Herunterladen bereit.

Fußnoten